home
..........................................................................................................................................................................................................................................................................
..........................................................................................................................................................................................................................................................................
Aktueller Stand: Februar 2012


Foto
Mit Hybrid-Bahnen in die Zukunft

Dank innovativer Antriebskonzepte eröffnen sich neue Perspektiven für die Verknüpfung von Straßen- und Eisenbahnen. Hybrid-Züge können sowohl unter elektrischer Oberleitung als auch mit Dieselantrieb fahren. Vorteil: Elektro- und Dieselnetze können sinnvoll verbunden werden, ohne dass enorm viel Geld in die Aufrüstung der Infrastruktur investiert werden muss.

In Deutschland kam die innovative Technik 2004 zum ersten Mal bei einer Straßenbahn in Nordhausen zum Einsatz. Bald darauf folgte die RegioTram in Kassel, die inzwischen aus der Innenstadt weit ins flache Land hinein fährt. Auch in Frankreich sind inzwischen Hybrid-Züge im Regionalverkehr unterwegs. Auch der Fahrzeughersteller Bombardier hat ein Konzept vorgestellt, bei dem in einem Doppelstockzug eine Diesellok mit einem elektrisch angetriebenen Steuerwagen kombiniert wird. (Hier das Konzept als pdf zum Download.)

Auf dem Bahnhofplatz im kleinen Harzstädtchen Nordhausen war in der Nacht zum 1.Mai 2004 die Hölle los. Diesmal ging es jedoch nicht um Hexenaustreibung. Es war eine Straßenbahn, die unter großem Feuerwerk mehrere tausend Menschen zum Jubeln brachte.
"Combino Duo" heißt das moderne Gefährt, das zwar von außen wie eine normale Tram aussieht, aber mit ganz neuen inneren Werten aufwarten kann. "Dies ist die weltweit erste elektrische Stadtbahn mit einem zusätzlichen Dieselantrieb", berichtet stolz Mathias Hartung von den Stadtwerken Nordhausen.
"Richtig happy" war Hartung, als in der Walpurgisnacht unter tosendem Beifall die erste offizielle Stadtbahn über die Gleise der Harzer Schmalspurbahnen ins elf Kilometer entfernte Ilfeld rollte. Nach über hundert Jahren ist es nun erstmals möglich, mit der Tram aus Nordhausens Innenstadt bis ans Rande des Harzgebirges zu fahren.

Verknüpfung der Bahnnetze

Die modernen "Hybridfahrzeuge" können auf beiden meterspurigen Gleisnetzen verkehren. Sie nutzen dabei den Strom aus der Straßenbahn-Oberleitung, auf der Eisenbahnstrecke sorgt der Dieselmotor für die zügige Weiterfahrt.
Die Idee, Straßen- und Eisenbahn zu verknüpfen, kommt aus Karlsruhe, wo mit Zweisystem-Stadtbahnen schon seit 1994 ein modernes S-Bahnnetz entstanden ist. Fachleute aus aller Welt pilgern regelmäßig nach Baden, um sich über das "Karlsruher Modell" zu informieren. Die Idee ist im Prinzip simpel, doch bestechend: So genannte Zweisystemfahrzeuge verkehren in der Innenstadt wie eine normale Straßenbahn, wechseln am Stadtrand jedoch auf Eisenbahnstrecken und fahren mit Tempo 100 schnell ins Umland.
"Hier der Stadtverkehr, dort der Regionalverkehr - zwei getrennte Systeme, unterschiedliche Betreiber, keine durchgehende Verbindung", beschreibt Horst Stammler, Sprecher der Albtalverkehrsgesellschaft (AVG) in Karlsruhe, die Situation in vielen Städten.
Genau hier liege das Problem, um neue Kunden für den Nahverkehr zu gewinnen, denn Umsteigen schrecke immer noch viele potenzielle Fahrgäste ab. Zwar schafften S-Bahnnetze in den Großstädten neue Verbindungen, doch nur unter immensen Baukosten. Kaum noch einen Platz hatten in diesen Konzepten die "klassischen" Straßenbahnen, deren Netze vielerorts schrumpften oder gar völlig verschwanden.
In Karlsruhe hatte man sich dagegen schon frühzeitig für den Ausbau des Straßenbahnnetzes entschieden. "Wir haben im Laufe der Zeit die meisten Strecken auf eigenen Bahnkörper verlegt, so dass heute rund 80 Prozent des Netzes vom Autoverkehr unabhängig sind", erläutert Stammler. Außerdem habe die Straßenbahn ein Beschleunigungsprogramm erhalten. "An den meisten Ampelkreuzungen kann der Wagenführer sich Grün anfordern und seine Bahn zügig durch die Stadt bringen."

Wechsel der Stromsysteme

Zu Beginn der 90er Jahre überlegte man, ob sich in dieses moderne Tramnetz nicht auch vorhandene Eisenbahnstrecken einbinden ließen. "Immerhin fahren bei uns die Straßenbahnen mitten durch die Fußgängerzone", sagt Stammler, während der Hauptbahnhof nur am Rand der Innenstadt liege. Da Straßen- und Eisenbahn sogar die gleiche Spurweite von 1.453 Millimetern haben, brauchte es eigentlich nur ein Fahrzeug, dass in beiden Systemen verkehren konnte.
Die Idee der "Zweisystem-Stadtbahn" war geboren: unter Mitbenutzung von Eisenbahnstrecken sollten weitere Stadtbahnlinien das Umland erschließen. "Es stellte sich jedoch das Problem unterschiedlicher Stromsysteme", berichtet Stammler. Die Karlsruher Straßenbahn fahre unter 750 Volt Gleichspannung, während die Eisenbahn 15.000 Volt, 16 2/3 Hertz Wechselspannung benutzt. Um mit einem Fahrzeug auf beiden Netzen fahren zu können, wurde bereits Ende der 80er Jahre ein Stadtbahnwagen mit Systemwechseleinrichtung entwickelt. Im September 1992 war es dann soweit: zwischen der Karlsruher Innenstadt und Bretten wurde die erste Stadtbahnlinie auf einer Eisenbahnstrecke eingeweiht.
Die neuen Stadtbahn-Züge können an so genannten System-Trennstellen am Stadtrand für den Fahrgast unmerklich die Stromversorgung wechseln. Auf dem Dach und unter dem Fahrzeugboden sind die dafür nötigen Transformatoren und Gleichrichter untergebracht. Zusammen mit den notwendigen Sicherungs- und Funksystemen sorgen sie dafür, dass die Stadtbahnen problemlos in beiden Netzen verkehren können.
Zum Stadtbahnbau gehörte außerdem die Einrichtung zusätzlicher Haltestellen. ‹Unsere Devise ist: man muss die Bahn zu den Menschen bringen und nicht die Menschen zur Bahn", sagt Stammler. Der Erfolg gab den Stadtbahn-Machern recht. Die Fahrgastzahlen stiegen auf der ersten Stadtbahnlinie von einst 2.000 auf heute 16.000.

Straßenbahn fährt ohne Strom

Kein Wunder also, dass immer mehr Eisenbahnstrecken an das Stadtbahnnetz angebunden werden. Inzwischen kann man mitten aus dem Schwarzwald über den Karlsruher Marktplatz bis nach Heilbronn am Neckar fahren. Auf manchen Strecken fahren die Stadtbahnen sogar im Wechsel mit ICE- oder Güterzügen.
Immer mehr in- und ausländische Städte kopieren mittlerweile das Karlsruher Erfolgsmodell. In Kassel soll die RegioTram Eisenbahn- und Tramnetz miteinander verknüpfen, in Saarbrücken oder Heilbronn wurde sogar die einst stillgelegte Straßenbahn wieder eingeführt, damit die Innenstadt aus der Region per Bahn direkt erreichbar ist.
Doch oft haben diese Projekte einen technischen Nachteil: Bahnstrecken müssen erst mit einer elektrischen Oberleitung versehen werden, bevor die Stadtbahn in die Region rollen kann. Das ist teuer und schreckt vielerorts vor Investitionen in ein modernes Schienenetz ab.
Auch im Harzstädtchen Nordhausen wurde schon länger überlegt, das Straßenbahnnetz mit dem Gleisnetz der Harzer Schmalspurbahnen zu verknüpfen, um dem Nahverkehr in der strukturschwachen Region neuen Schwung zu geben. Die Elektrifizierung der Harzer Schmalspurbahn habe dabei aus Kostengründen nie zur Debatte gestanden, so Mathias Hartung.
Um von der Stadtgrenze Nordhausens weiter bis ins elf Kilometer entfernte Ilfeld im Harz zu fahren, blieb also nur der Einbau eines zusätzlichen Dieselmotors in ein konventionelles Straßenbahnfahrzeug. Nach zahlreichen Versuchen gelang es den Experten des Instituts für Maschinen, Anlagen und elektronische Gerätetechnik (IMG) in Nordhausen schließlich einen leichten und leistungsfähigen Hybridantrieb zu entwickeln.
Dabei griff man auf einen konventionellen Achtzylinder-Dieselmotor der Firma BMW zurück. Dieser kann nun zusammen mit einem Tank und automatischer Löschanlage als kompakte Einheit in eine Straßenbahn eingebaut werden. Der Motor treibt einen Generator an, der für den elektrischen Tramantrieb den nötigen Strom zur Weiterfahrt ohne Oberleitung liefert.
Mit Siemens Transportation Systems fand man einen Partner, der das passende Fahrzeug zur Verfügung stellte. Seit Anfang 2000 rollen bereits sieben elektrische, rund 20 Meter lange Tramzüge vom Typ "Combino" im Nordhäuser Streckennnetz.

Zukunft für Hybrid-Züge

"Die neue Zweisystem-Tram Combino Duo ist nun weltweit die erste niederflurige Straßenbahn mit Diesel-Hybridantrieb und Zulassung für Eisenbahn- und Straßenbahnnetze", sagt Siemens-Projektleiter Robert Koch nicht ohne Stolz.
"Wir haben das ultrakompakte Aggregat im Mittelmodul des dreiteiligen Zuges eingebaut", erklärt Koch. Auf dem Dach des Moduls befänden sich die Kühlanlage für den Verbrennungsmotor, der Generator und die ebenfalls von IMG entwickelte Leistungselektronik. Das Gesamtgewicht der Diesel-Hybrid-Antriebsausrüstung liege bei 1,2 Tonnen.
Der Übergang von der Stromversorgung durch die Oberleitung zur Stromversorgung durch das dieselelektrische Antriebssystem erfolge etwa 20 Sekunden nach Betätigung eines Tasters durch den Fahrer, so Koch. Das Dieselaggregat schaltet sich ein und liefert die nötige Strommenge.
Abgesehen von der Diesel-Hybrid-Antriebsausrüstung entsprechen die technischen Merkmale des Combino Duo im Wesentlichen denen der elektrischen Bahnen. So verfügt das dreiteilige Fahrzeug zum Beispiel über einen Allradantrieb, um den starken Steigungen von bis zu 9,3 Prozent im Nordhäuser Streckennetz gerecht zu werden.
Zwar sei der Combino für Nordhausen recht klein und kompakt, so Koch. Doch da es sich um ein modular aufgebautes Fahrzeugkonzept handele, wären auch längere, fünfteilige Züge mit zwei Dieselaggregaten machbar.
Dass die neuen Hybrid-Züge eine große Zukunft haben werden, dessen sind sich alle Beteiligten am Projekt in Nordhausen sicher. Zwar sei ein Combino Duo mit rund zweieinhalb Millionen Euro etwa ein Viertel teurer als die reine Elektroversion, so Mathias Hartung von den Stadtwerken Nordhausen. Doch im Vergleich mit den Kosten einer ansonsten millionenteuren Streckenelektrifizierung mache sich das Fahrzeug schnell bezahlt.



Alle Angaben und Links ohne Gewähr, Aktualisiert: Februar 2012



..........................................................................................................................................................................................................................................................................
© SCRITTI.Kommunikation, Autor: Michael Schwager

..........................................................................................................................................................................................................................................................................