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Cisalpino
Pendolino+ETR 500
Pendolino(CP)
ICN(SBB)
Pendolino-Technik
CIS AG

Im Pendolino schneller durch Europa

Nicht nur in Italien gehört er längst zum Eisenbahnalltag: der Pendolino. In verschiedenen Ländern rauscht der elektrische Intercity-Zug mit bis zu 230 Kilometern pro Stunde (km/h) über herkömmliche Bahnstrecken.

Der Clou: dank seiner Neigetechnik kann sich der komplette Zug wie ein Motorradfahrer in die Kurve legen und diese schneller durchfahren. Eine ausgeklügelte Technik läßt die einzelnen Wagen bis zu 8 Grad zur Seite pendeln, daher der Name "Pendolino". Seit März 1998 kommt der erste Pendolino auch täglich nach Deutschland. Der "Zweistrom-Zug" der Cisalpino AG, ein Tochterunternehmen der italienischen Eisenbahn FS, der schweizer Bundesbahn SBB und der Lötschbergbahn BLS, rollt von Mailand über Zürich und Schaffhausen nach Stuttgart und wieder zurück. (Foto) "Die Fahrzeit zwischen Stuttgart und Mailand beträgt im Cisalpino weniger als sieben Stunden", sagt Fritz Meier von der Cisalpino AG. Das sind 70 Minuten weniger als herkömmliche D-Züge für die kurvenreiche Bahnstrecke benötigten.

Im Cisalpino zügig über die Alpen

"Neigezüge können die Reisezeiten in der Regel um 20 bis 30 Prozent verkürzen", erläutert Fritz Meier weiter. "Und das ohne bauliche Veränderung der Infrastruktur." Um mit höheren Geschwindigkeiten zu fahren, müssen je nach Ausbauzustand der Strecke zum Beispiel Magnetkontakte für die Überwachung der Zuggeschwindigkeit versetzt oder die Fahrleitung muß für elektrische Neigezüge etwas verändert werden. Wenn der Zug dann durch die Kurven braust, sind dank Neigetechnik die zusätzlich entstehenden Fliehkräfte für den Fahrgast kaum bemerkbar.
Gerade auf kurvenreichen Bahnstrecken durchs Gebirge oder entlang von Flußtälern haben sich Neigezüge gut bewährt. In Italien konnten vor allem Städteverbindungen abseits der Magistrale Mailand-Florenz-Rom mit dem Pendolino deutlich attraktiver gestaltet werden, ohne daß dafür teure Streckenausbauten notwendig waren.
Um auch den Transitverkehr über die Alpen zu beschleunigen, wurde Ende 1993 die schweizerisch-italienische Cisalpino AG gegründet. Beim italienischen Fahrzeughersteller Fiat-Ferroviario, der die Neigetechnik seit Mitte der siebziger Jahren konsequent weiterentwickelt hat, wurden neun Pendolino-Züge bestellt, die mit der sogenannten Zweistrom-Technik ausgerütet sind. Da der italienischen Pendolino zuvor nur unter Gleichstrom von 3000 Volt verkehren konnte, mußte für die Nachbarländer die Antriebsanlage zusätzlich an das in der Schweiz und Deutschland gebräuchliche Wechselstromsystem von 15.000 Volt und 16,66 Hertz angepaßt werden.
Die Zweistromzüge stammen gänzlich vom Pendolino der zweiten Bauserie (ETR 460) ab. Der italienische Star-Designer "Giugiaro" gestaltete die Züge und vereinte aerodynamische Forderungen zur Minimierung des Luftwiderstandes mit einem zeitgemäßen Design.
Im September 1996 konnte schließlich nach einer umfangreichen Erprobungsphase der Verkehr mit dem ersten Cisalpino aufgenommen werden. Inzwischen rollen die weiß-blauen Züge von Mailand aus mehrmals täglich durch den Simplon-Tunnel nach Genf, Bern und Basel und durch den St.Gotthard-Tunnel nach Zürich. "Wo auf den Gebirgsstrecken normale Züge nur mit 80 km/h verkehren dürfen, kann sich der Cisalpino heute mit 95 bis 100 km/h in die Kurve legen", erklärt Fritz Meier nicht ohne Stolz.

Triebwagentechnik im Pendolino

Bei allen Pendolino-Varianten handelt es sich um sogenannte Triebwagenzüge. Wie bei einer S-Bahn sind sämtliche Antriebskomponeneten auf den ganzen Zug verteilt. Der neunteilige Cisalpino besteht dabei aus drei unabhängigen Einheiten mit jeweils drei Wagen. Jede dieser "Traktionseinheiten" verfügt über vier Drehstrom-Asynchronmotoren unter dem Wagenkasten mit einer Gesamtleistung von 2000 Kilowatt - das entspricht ungefähr 2700 PS. Dadurch kann der Zug sehr schnell beschleunigen.
Weil keine Lokomotive benötigt wird, bleibt das Gesamtgewicht des Zuges auch dank der Bauweise aus Aluminumprofilen relativ niedrig. Um auch bei erhöhter Geschwindigkeit in den Kurven die Gleise nicht übermäßig zu beanspruchen, wurden neue Fahrwerke entwickelt. Federnd gelagerte Achsen passen die Räder optimal dem Kurvenlauf an.
Die Fiat-Neigetechnik ist platzsparend komplett im Drehgestell untergebracht. Sensoren am führenden Fahrzeug ermitteln bei der Kurvenfahrt die notwendige Neigung des Wagenkastens, um die entstehende Seitenbeschleunigung zu kompensieren. Diese Daten werden an Steuergeräte in den nachfolgenden Wagen weitergegeben, die dann über Hydraulikzylinder den Wagenkasten entsprechend neigen. Das feinfühlige System ermöglicht es, daß sich zum Beispiel in einer S-Kurve die Spitze des Zuges bereits nach links neigt, während das Ende noch in die Gegenrichtung auspendelt.
Für den Einsatz in Deutschland mußten neben den deutschen Sicherungs- und Zugfunkeinrichtungen auch ein zusätzlicher Stromabnehmer mit einem breiteren Schleifstück auf dem Dach des Zuges installiert werden. Dies war nicht unproblematisch. Da sich der Wagenkasten in der Kurve neigt, müssen die Stromabnehmer auf besonderen Gestellen montiert werden, die nicht an der Neigung teilnehmen. Sonst ksönnte der Stromabnehmer vom Fahrdraht abrutschen.
Einer der bereits vorhandenen Stromabnehmer wurde durch einen für das deutsche System tauglichen ausgetauscht. Über dem zweiten Drehgestell desselben Wagens befindet sich ein zweiter, starr montierter Ersatz-Stromabnehmer. Muß auf diesen im Schadensfall zurückgegriffen werden, so darf der Zug nur mit ausgeschalteter Neigetechnik verkehren.

Pendolino europaweit

Fritz Meier von der Cisalpino AG sieht die Zukunft für Neigezüge positiv: "Auf weniger nachfragestarken Fernverbindungen wie zum Beispiel von Berlin aus nach Osten ist die Neigetechnik eine ernsthafte Alternative zu einem Streckenneubau." Diese Einschätzung wird von immer mehr europäischen Bahngesellschaften geteilt. Fiat-Ferroviario baut Pendolino-Varianten inzwischen auch für Finnland, Spanien und Portugal, und für verschiedene britische Bahngesellschaften.
Auch die Schweizer Bundesbahnen SBB haben inzwischen Intercity-Züge mit Neigetechnik im Einsatz. In der Schweiz kann man sich Schienen-Autobahnen, wie sie der deutsche ICE zum Ausfahren seiner Höchstgeschwindigkeit von bis zu 300 km/h benötigt, wegen der erforderlichen Tunnel und Brücken kaum leisten. Doch auch in Deutschland stoßen Projekte wie die nie fertig werdende Neubaustrecke Nürnberg-Erfurt quer durch den Thüringer Wald immer öfter auf Widerstand in der betroffenen Bevölkerung. Ohne Neubaustrecke muß sich aber auch ein herkömmlicher ICE oder TGV wie jeder andere Zug an entsprechende Tempolimits halten.
Lange Zeit setzte die Deutsche Bahn AG (DB) Neigezüge lediglich als zweiteilige Dieseltriebwagen im Regionalverehr ein. Der Erfolg dieser Fahrzeuge veranlaßte die DB, auch einen elektrischen Neigetechnik-Intercity in Auftrag zu geben, den sogenannten ICE-T. Dieser fünf- bzw. siebenteilige Triebwagenzug ist 230 km/h schnell sein und wird in Deutschland von Siemens gebaut. Die Neigetechnik dagegen kommt aus Italien von Fiat Ferroviario (heute Alstom) und entspricht dem ETR 460.
Seit Juni 2000 rollt der deutsche elektrische Pendolino zwischen Berlin und München, Frankfurt/Main und Dresden und Berlin und Hamburg. Bereits seit 1999 sorgt der ICE-T zusammen mit dem Cisalpino mit großem Erfolg zwischen Stuttgart und Zürich f¨r kürzere Fahrzeiten. Die Fahrt nach Italien bleibt jedoch weiter dem Cisalpino vorbehalten. Der ICE-T ist nämlich nur unter Wechselstrom funktionsfähig, im italienischen Gleichstromnetz würde der schnelle Zug sofort stehenbleiben.


Seit 30 Jahren schneller in die Kurve

Sich neigende Eisenbahnfahrzeuge wurden bereits in den 70er Jahren getestet. Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen aktiver und passiver Neigetechnik, sowie hydraulischen und elektronischen Systemen.
BEI DER PASSIVEN NEIGETECHNIK sorgt einzig die bei der Bogenfahrt entstehende Fliehkraft für die Neigung des Zuges. Ein solches rein mechanisches System besitzt der spanische Talgo Pendular. Bei dem seit einigen Jahren als Nachtzug auch über deutsche Gleise rollenden Zug neigen sich nur die Wagen, nicht jedoch die Lokomotive. Die Wagenkästen sind an einem U-förmigen Joch über den Fahrgestellen an Pendeln beweglich aufgehängt. Fährt der Zug in eine Kurve, wird der Wagenkasten durch die Fliehkraft nach außen geschwenkt. Der maximale Neigungswinkel beträgt 3,5 Grad.
AKTIVE NEIGESYSTEME erkennen dagegen im Voraus den Bogen im Gleis und neigen den Zug automatisch. Beim schwedischen X-2000 oder beim italienischen Pendolino ermitteln Sensoren im führenden Fahrzeug die wichtigsten Daten zur Gleisgeometrie. Diese werden an Steuergeräte der folgenden Wagen weitergeleitet, welche dann die jeweils notwendige Neigung errechnen und den Wagenkasten über Hydraulikzylinder neigen. Der X2000 neigt sich bis zu 6,5 Grad, der Pendolino bis zu 8 Grad. Die hydraulische Fiat-Neigetechnik kommt auch bei den deutschen Dieseltriebwagen VT 610 und beim ICE-T zum Einsatz.
EIN ELEKTRONISCHES NEIGESYSTEM wurde in die Dieseltriebwagen vom Typ VT 611/VT 612 (Neitech) eingebaut, die in verschiedenen deutschen Bundesländern im Regionalverkehr rollen und durch zahlreiche Pannen bekannt wurden. Ein Elektromotor neigt den Wagenkasten nach den vom Rechner übermitelten Daten bis zu 8 Grad. Ursprünglich wurde das System im Daimler Benz-Konzern zur Stabilisierung des Waffensystems im Leopard-Panzer entwickelt. Der Nachfolgezug VT 612 funktioniert inzwischen relativ zuverlässig.

anim

© SCRITTI-Text&Bild, Autor: Michael Schwager