Bahnreisende durften sich mal wieder freuen: Mit dem Fahrplanwechsel am 12. Dezember 2004 kam zwischen den wichtigsten Städten im Land der regelmäßige Halbstundentakt. Zwölf Prozent mehr Züge verkehren landesweit, darunter moderne InterCity-Neigezüge (ICN) und IC-Doppelstockzüge. Die Fahrpläne von Bahn, Bus und Schiff greifen wie ein Uhrwerk auch noch im kleinsten Dorf ineinander.
Was sich für Nutzer des Öffentlichen Verkehrs (ÖV) in Deutschland wie ein Märchen aus Tausend und einer Nacht anhört, ist in der Schweiz längst Realität, seit die entscheidende Phase des Konzeptes Bahn 2000 Ende 2004 in Betrieb ging. Für die Schweizer Bundesbahnen (SBB) und alle anderen Unternehmen im ÖV bedeutete dieser Fahrplanwechsel eine kleine Revolution.
Inzwischen sind Zürich, Bern und Basel im Halbstundentakt miteinander verbunden und touristische Destinationen im ganzen Alpenraum direkter erschlossen. Die Reisezeit von Zürich nach Bern beträgt nur noch 57 statt 69 Minuten und Basel rückt 12 Minuten näher an Bern heran. Sogar der äußerste Süden Deutschlands profitiert: eine neue ICN-Linie führt nun stündlich von Konstanz über Winterthur und den Flughafen Zürich nach Biel.
Neubaustrecke mit Netzwirkung
Herzstück des neuen Angebotes ist dabei die 45 Kilometer lange Neubaustrecke Mattstetten-Rothrist nördlich von Bern. Hier rollen die Züge mit Tempo 160, später sogar mit Tempo 200. Damit konnte die Fahrzeit zwischen Bern und Zürich und Bern und Basel unter 60 Minuten gedrückt werden. "Nur so konnte das Knotensystem mit dem Integralen Taktfahrplan sinnvoll umgesetzt werden", erläutert Hans-Jürg Spillmann, im Jahre 2004 Operativer Leiter SBB-Infrastruktur.
Auf diese Weise lassen sich nun in den großen Städten saubere Anschlussknoten zur Minute 00 oder 30 einrichten. Die landesweiten Auswirkungen dieser Maßnahme sind immens: "Im Vergleich zu 1996 verkürzt der neue Fahrplan rund zwei Drittel aller Verbindungen zwischen den 40 größten Zentren um fünf und mehr Minuten", so Spillmann.
Doch die Neubaustrecke allein reichte längst nicht, um den verkehrspolitisch gewollten Quantensprung zu erreichen. "Unsere Planungsphilosophie war immer Elektronik vor Beton", so Spillmann. In Bahnanlagen wurde erst dann investiert, wenn die gewünschte Angebotsqualität nicht mit anderen Mitteln erreichbar war. Denn oftmals genügte einfach gute und wissenschaftliche Planung, um etwa Betriebskonzepte zu verbessern.
Ebenso wichtig waren rund 90 kleinere Einzelmaßnahmen. Dazu gehörten etwa die Anpassung der Infrastruktur für Doppelstock-IC oder Neigezüge. Entscheidend waren auch die Entflechtung von Zufahrten in die Bahnhöfe. So wurden in Zürich die auf den Kopfbahnhof zulaufenden Strecken teilweise neu angelegt, damit die Bahnen rechtzeitig "vorsortiert" werden und sich bei der Ein- und Ausfahrt nicht mehr in die Quere kommen.
"Mit dem Fahrplanwechsel steigt so die Zahl der ein- und ausfahrenden Züge um 13 Prozent auf täglich 1477", sagt Spillmann, was für einen Kopfbahnhof wohl Weltrekord sein dürfte.
Kostenrahmen nicht ausgereizt
Als die Bahn 2000 nach einem Volksentscheid in den 90er Jahren projektiert wurde, waren an Gesamtkosten 7,4 Milliarden Franken (4,83 Mrd. Euro) angesetzt. "Bis zum Projektabschluß werden wir jedoch nur 5,9 Milliarden Franken für Ausbauten benötigen", stellt Spillmann zufrieden fest.
Zum Vergleich: sämtliche Neubauprojekte der Deutschen Bahn, von den Schnellfahrstrecken Köln-Frankfurt oder München-Ingolstadt bis zum neuen Zentralbahnhof in Berlin, sprengten bislang regelmäßig den Kostenrahmen und verteuerten sich um mehrere Milliarden Euro.
Doch warum ist in Deutschland nicht möglich, was im Nachbarland mit viel Wissen, Kompetenz und unternehmerischem Know-how umgesetzt wird? Kritiker sagen immer, man könne Deutschland schon wegen der Größe nicht mit der Schweiz vergleichen. Doch dieses Argument lässt Matthias Lieb, Landesvorsitzender vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) in Baden-Württemberg nicht gelten.
"Das Problem ist, dass es in Deutschland keine Verkehrspolitik gibt, die diesen Namen wirklich verdient", sagt Lieb. Beim Straßenbau gebe es tausende Projekte mit abgeschlossenen Planungen, die nach und nach abgearbeitet würden. "Bei der Schiene gibt es außer einigen Korridoren für den schnellen ICE-Verkehr überhaupt kein Konzept, weder ein Infrastrukturausbau noch ein Betriebskonzept", stellt Lieb resigniert fest.
Um die Planfeststellung nicht verfallen zu lassen, würden etwa bei der Neubaustrecke durch den Thüringer Wald in der Summe Milliarden verbaut, obwohl allen Beteiligten klar sei, dass bei dem derzeitigen Tempo frühestens in 20 Jahren der erste Zug fahren werde. "Dieses Geld fehlt dann wieder, um angefangene Projekte kurzfristig zu vollenden, und einen weitaus höheren verkehrlichen Nutzen zu erzielen."
Dabei könnte Deutschland von der Schweiz lernen: "Zuerst erstellt man ein Verkehrs- und Fahrplankonzept, dann werden die Infrastruktur angepasst und die Fahrzeuge beschafft. Am Ende stehen flächendeckende Verbesserungen für fast alle", sagt Lieb. Und für diese gelte es schließlich zu werben.
Wie bei den SBB schon lange üblich, wurde rechtzeitig zum Großereignis Fahrplanwechsel eine umfangreiche Marketing- und Medienkampagne gestartet. Eine eigene Homepage informierte über das Thema, es gibt neue Bücher, und eine Wanderausstellung tourte durch die großen Bahnhöfe. Dabei wurde nicht nur über die Bahn 2000, die Bauprojekte und die verkehrlichen Verbesserungen für die Regionen informiert. Der Bund präsentierte auch seine Verkehrspolitik - denn mit dieser muss er sich wahrlich nicht verstecken.