Stuttgart 21 und kein Ende: Seit den 90er Jahren wird über die Umwandlung des Stuttgarter Kopfbahnhofes in einen Durchgangsbahnhof im Tunnel diskutiert, 2007 endlich der Bau der Tunnelstation beschlossen. Doch der verkehrliche Nutzen des Milliardenprojektes ist mehr als fraglich. Kritiker werfen Bund, Land und Deutscher Bahn AG (DB) vor, Kosten schön zu rechnen und mitten in Stuttgart einen neuen Engpass im deutschen Schienennetz zu bauen.
Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt: bei sämtlichen Neubauprojekten der DB explodierten die Kosten, das war bei den Neubaustrecken Frankfurt-Köln oder München-Ingolstadt genauso wie beim Bau des neuen Zentralbahnhofes in Berlin. Aus gutem Grund macht die DB inzwischen kaum mehr Zusagen für milliardenteure Prestigeprojekte - sofern nicht andere dafür bezahlen und das an die Börse strebende Unternehmen hinterher Eigentümer eines Prunkbaues ist.
Dennoch halten Baden-Württembergs Provinzpolitiker unverdrossen am Mythos von Stuttgart 21 fest und haben nach zähem Ringen immer weitere finanzielle Zugeständnisse gemacht. Andererseits drohe der Schwabenmetropole und dem ganzen Lande das verkehrliche Abseits, so die Horrorpropaganda. Man befürchtet zudem, dass der ICE-Verkehr nicht mehr über Stuttgart, sondern von Frankfurt aus direkt über die inzwischen schnellere Neubaustrecke Nürnberg-München rollen wird.
Bahnhof unter der Erde
Nun sollen der unterirdische Bahnhof und die angeschlossene Neubaustrecke nach Ulm endlich gebaut werden - sofern nicht wieder einmal die Kosten explodieren. Forciert wurde das Projekt Stuttgart 21 zu Beginn der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts maßgeblich vom früheren Bahnchef Heinz Dürr und dem ehemaligen Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (CDU), beides Schwaben und heute kaum mehr bekannt, beziehungsweise Letzterer ist inzwischen als oberster Auto-Lobbyist tätig.
Der 16gleisige Kopfbahnhof im Stuttgarter Talkessel soll nach Kostenberechnungen aus den 90ern für rund 2,5 Milliarden Euro (Stand 2007: 2,8 Milliarden) in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof mit acht Gleisen verwandelt werden. Im Tunnel würde es dann weiter zum neuen Flughafen-Kopfbahnhof und anschließend auf die nochmals 1,5 Milliarden Euro (Stand 2007: 2 Milliarden) teure Neubaustrecke über die Schwäbische Alb nach Ulm gehen. Finanziert werden sollte das Bahnhofsprojekt hauptsächlich durch die Bebauung der oberirdisch frei werdenden Grundstücke.
Doch immer wieder wurden die verbliebenen Akteure der einstigen "Schwaben-Connection" von der Wirklichkeit eingeholt. Stuttgart 21 ist angesichts sinkender Verkehrszuwächse und neuer Milliardenschulden für Bahn und Bund auch nach dem Baubeschluss nur schwer finanzierbar, zumal der Tunnelbahnhof im deutschen Schienennetz nach Expertenmeinung keine nennenswerten Verbesserungen bringt.
Inzwischen hatte die Landesregierung sogar eine weitgehende Vorfinanzierung des Projektes angeboten. Für ihr Entgegenkommen wurde die DB im Jahr 2003 vom Land sogar mit einem weitreichenden, langjährigen Monopolvertrag für Regionalverkehre belohnt, der wie jene in anderen Bundesländern wegen überhöhter Kosten und mangelnder Transparenz lange schon von der EU in Brüssel beanstandet wird.
Alternativen nie ernsthaft untersucht
Die Projektgegner sehen sich angesichts der allgemeinen Kassenlage bestätigt. Die Kritiker von der Initiative UMKEHR / Kein Stuttgart 21, zu denen neben Umweltschützern und Verkehrsexperten auch namhafte Architekten zählen, haben detaillierte Pläne für eine Modernisierung des Kopfbahnhofes für die Hälfte der anvisierten Kosten von Stuttgart 21 entwickelt. Diese Alternative wurde jedoch von den Verantwortlichen nie ernsthaft untersucht, da sonst schnell deutlich geworden wäre, dass Stuttgart 21 viel kostet, aber wenig bringt.
Betrieblich stellen Kopfbahnhöfe in Zeiten von schnellen Triebwagen und Wendezügen kein großes Problem mehr dar. Dass auch ein Kopfbahnhof "fit für das 21. Jahrhundert" gemacht werden kann, zeigt sich eindrucksvoll bei den Moderisierungen in Zürich oder inzwischen auch in Frankfurt/Main. (siehe hierzu auch SCRITTI.Text: Schweiz - Elektronik vor Beton)
Viel wichtiger als der schnelle Durchgangsverkehr scheint den Kritikern die Beseitigung von Engpässen bei den Zulaufstrecken. Durch die Neuordnung und den Abbau unnötiger Gleise könnten dennoch Flächen für künftige städtebauliche Nutzungen frei werden.
Schon zu Beginn kritisierte UMKEHR die immensen Kosten bei Stuttgart 21. Die gesamte Finanzierung stehe auf tönernen Füßen, das finanzielle Risiko gehe hauptsächlich zu Lasten des Landes und der Stadt Stuttgart. Diese Prognose bewahrheitete sich bereits. Für die freiwerdenden Grundstücke auf vormaligem Bahngelände mußte mangels potenter Investoren mehrfach die Stadt Stuttgart herhalten und "aus öffentlichem Interesse" für Hunderte Millionen Euro die Flächen kaufen.
Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) hat mittlerweile nachgewiesen, daß die mit Stuttgart 21 stets propagierten Verbesserungen des Zugangebotes nur außerhalb der Stoßzeiten machbar sind. Der vom Land angestrebte Integrale Taktfahrplan ist im nur achtgleisigen Tiefbahnhof definitiv nicht umzusetzen. Ganz abgesehen davon, dass nur ein verspäteter Zug im Tunnel den kompletten Fahrplan zusammenbrechen lässt. Und auch die DB räumt inzwischen ein, daß die mit Stuttgart 21 erwarteten Fahrgastzuwächse utopisch sind und sich der geplante Flughafen-Kopfbahnhof für den ICE kaum wirtschaftlich betreiben läßt.
Die "Alles oder nichts"-Strategie der Politik könnte sich am Ende doch noch rächen. Sollten trotz des Baubeschlusses von 2007 die Kosten weiter explodieren, stehen Stadt und Land mit leeren Händen da. So forderten auch DIE GRÜNEN die Landesregierung mehrfach auf, endlich Alternativen für den Stuttgarter Bahnhofsausbau zu untersuchen.
Jeder vernünftige Planer habe mindestens ein zweites Konzept in der Schublade, wenn sich Nr. 1 nicht realisieren lasse, meinen DIE GRÜNEN. Jetzt räche sich für die Landesregierung, der Schnellbahntrasse zwischen Ulm und Stuttgart nicht absolute Priorität eingeräumt zu haben. Denn nach den jetzigen Plänen ist die Schnellbahntrasse nur zusammen mit dem gigantischen Tunnelbahnhof realisierbar.
Doch auch bei diesem Projekt ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis mehr als fraglich: Außer von zwei, drei ICEs pro Stunde wird die Schnellfahrstrecke kaum befahren werden. Für den Güterverkehr ist sie unattraktiv, weil zu teuer, wie im Juni 2008 bekannt wurde. Die Steigungen am Albaufstieg werden sogar steiler sein als heute auf der alten Strecke, ohne teure Schublok schafft das auch in Zukunft kaum ein Güterzug.