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Aktueller Stand: Juni 2008
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Stuttgart 21: Ist der Zug schon abgefahren?

Wer soll das bezahlen? Gegner des Megaprojektes Stuttgart 21 fordern seit Jahren Erhalt und Modernisierung des bestehenden Kopfbahnhofes. Neues Konzept für einen kundenfreundlichen und bezahlbaren Bahnhof - über der Erde.

Stuttgart 21 und kein Ende: Seit den 90er Jahren wird über die Umwandlung des Stuttgarter Kopfbahnhofes in einen Durchgangsbahnhof im Tunnel diskutiert, 2007 endlich der Bau der Tunnelstation beschlossen. Doch der verkehrliche Nutzen des Milliardenprojektes ist mehr als fraglich. Kritiker werfen Bund, Land und Deutscher Bahn AG (DB) vor, Kosten schön zu rechnen und mitten in Stuttgart einen neuen Engpass im deutschen Schienennetz zu bauen.

Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt: bei sämtlichen Neubauprojekten der DB explodierten die Kosten, das war bei den Neubaustrecken Frankfurt-Kšöln oder MüŸnchen-Ingolstadt genauso wie beim Bau des neuen Zentralbahnhofes in Berlin. Aus gutem Grund macht die DB inzwischen kaum mehr Zusagen für milliardenteure Prestigeprojekte - sofern nicht andere dafür bezahlen und das an die Börse strebende Unternehmen hinterher Eigentümer eines Prunkbaues ist.

Dennoch halten Baden-Württembergs Provinzpolitiker unverdrossen am Mythos von Stuttgart 21 fest und haben nach zähem Ringen immer weitere finanzielle Zugeständnisse gemacht. Andererseits drohe der Schwabenmetropole und dem ganzen Lande das verkehrliche Abseits, so die Horrorpropaganda. Man befürchtet zudem, dass der ICE-Verkehr nicht mehr über Stuttgart, sondern von Frankfurt aus direkt über die inzwischen schnellere Neubaustrecke Nürnberg-München rollen wird.

Bahnhof unter der Erde

Nun sollen der unterirdische Bahnhof und die angeschlossene Neubaustrecke nach Ulm endlich gebaut werden - sofern nicht wieder einmal die Kosten explodieren. Forciert wurde das Projekt Stuttgart 21 zu Beginn der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts maßgeblich vom früheren Bahnchef Heinz Dürr und dem ehemaligen Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (CDU), beides Schwaben und heute kaum mehr bekannt, beziehungsweise Letzterer ist inzwischen als oberster Auto-Lobbyist tätig.

Der 16gleisige Kopfbahnhof im Stuttgarter Talkessel soll nach Kostenberechnungen aus den 90ern für rund 2,5 Milliarden Euro (Stand 2007: 2,8 Milliarden) in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof mit acht Gleisen verwandelt werden. Im Tunnel würde es dann weiter zum neuen Flughafen-Kopfbahnhof und anschließend auf die nochmals 1,5 Milliarden Euro (Stand 2007: 2 Milliarden) teure Neubaustrecke über die Schwäbische Alb nach Ulm gehen. Finanziert werden sollte das Bahnhofsprojekt hauptsächlich durch die Bebauung der oberirdisch frei werdenden Grundstücke.

Doch immer wieder wurden die verbliebenen Akteure der einstigen "Schwaben-Connection" von der Wirklichkeit eingeholt. Stuttgart 21 ist angesichts sinkender Verkehrszuwächse und neuer Milliardenschulden für Bahn und Bund auch nach dem Baubeschluss nur schwer finanzierbar, zumal der Tunnelbahnhof im deutschen Schienennetz nach Expertenmeinung keine nennenswerten Verbesserungen bringt.

Inzwischen hatte die Landesregierung sogar eine weitgehende Vorfinanzierung des Projektes angeboten. Für ihr Entgegenkommen wurde die DB im Jahr 2003 vom Land sogar mit einem weitreichenden, langjährigen Monopolvertrag für Regionalverkehre belohnt, der wie jene in anderen Bundesländern wegen überhöhter Kosten und mangelnder Transparenz lange schon von der EU in Brüssel beanstandet wird.

Alternativen nie ernsthaft untersucht

Die Projektgegner sehen sich angesichts der allgemeinen Kassenlage bestätigt. Die Kritiker von der Initiative UMKEHR / Kein Stuttgart 21, zu denen neben Umweltschützern und Verkehrsexperten auch namhafte Architekten zählen, haben detaillierte Pläne für eine Modernisierung des Kopfbahnhofes für die Hälfte der anvisierten Kosten von Stuttgart 21 entwickelt. Diese Alternative wurde jedoch von den Verantwortlichen nie ernsthaft untersucht, da sonst schnell deutlich geworden wäre, dass Stuttgart 21 viel kostet, aber wenig bringt.

Betrieblich stellen Kopfbahnhöfe in Zeiten von schnellen Triebwagen und Wendezügen kein großes Problem mehr dar. Dass auch ein Kopfbahnhof "fit für das 21. Jahrhundert" gemacht werden kann, zeigt sich eindrucksvoll bei den Moderisierungen in Zürich oder inzwischen auch in Frankfurt/Main. (siehe hierzu auch SCRITTI.Text: Schweiz - Elektronik vor Beton)

Viel wichtiger als der schnelle Durchgangsverkehr scheint den Kritikern die Beseitigung von Engpässen bei den Zulaufstrecken. Durch die Neuordnung und den Abbau unnötiger Gleise könnten dennoch Flächen für künftige städtebauliche Nutzungen frei werden.

Schon zu Beginn kritisierte UMKEHR die immensen Kosten bei Stuttgart 21. Die gesamte Finanzierung stehe auf tönernen Füßen, das finanzielle Risiko gehe hauptsächlich zu Lasten des Landes und der Stadt Stuttgart. Diese Prognose bewahrheitete sich bereits. Für die freiwerdenden Grundstücke auf vormaligem Bahngelände mußte mangels potenter Investoren mehrfach die Stadt Stuttgart herhalten und "aus öffentlichem Interesse" für Hunderte Millionen Euro die Flächen kaufen.

Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) hat mittlerweile nachgewiesen, daß die mit Stuttgart 21 stets propagierten Verbesserungen des Zugangebotes nur außerhalb der Stoßzeiten machbar sind. Der vom Land angestrebte Integrale Taktfahrplan ist im nur achtgleisigen Tiefbahnhof definitiv nicht umzusetzen. Ganz abgesehen davon, dass nur ein verspäteter Zug im Tunnel den kompletten Fahrplan zusammenbrechen lässt. Und auch die DB räumt inzwischen ein, daß die mit Stuttgart 21 erwarteten Fahrgastzuwächse utopisch sind und sich der geplante Flughafen-Kopfbahnhof für den ICE kaum wirtschaftlich betreiben läßt.

Die "Alles oder nichts"-Strategie der Politik könnte sich am Ende doch noch rächen. Sollten trotz des Baubeschlusses von 2007 die Kosten weiter explodieren, stehen Stadt und Land mit leeren Händen da. So forderten auch DIE GRÜNEN die Landesregierung mehrfach auf, endlich Alternativen für den Stuttgarter Bahnhofsausbau zu untersuchen.

Jeder vernünftige Planer habe mindestens ein zweites Konzept in der Schublade, wenn sich Nr. 1 nicht realisieren lasse, meinen DIE GRÜNEN. Jetzt räche sich für die Landesregierung, der Schnellbahntrasse zwischen Ulm und Stuttgart nicht absolute Priorität eingeräumt zu haben. Denn nach den jetzigen Plänen ist die Schnellbahntrasse nur zusammen mit dem gigantischen Tunnelbahnhof realisierbar.

Doch auch bei diesem Projekt ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis mehr als fraglich: Außer von zwei, drei ICEs pro Stunde wird die Schnellfahrstrecke kaum befahren werden. Für den Güterverkehr ist sie unattraktiv, weil zu teuer, wie im Juni 2008 bekannt wurde. Die Steigungen am Albaufstieg werden sogar steiler sein als heute auf der alten Strecke, ohne teure Schublok schafft das auch in Zukunft kaum ein Güterzug.



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Stuttgart 21 - Eine endlose Geschichte:

1985: Der neue Bundesverkehrswegeplan liegt auf dem Tisch. Die Züge sollen wie gehabt durchs Neckartal rollen - um dann auf einer aus- und neugebauten Strecke wie gehabt durchs Filstal und die Geislinger Steige hinauf nach Ulm geführt zu werden. Vater der so genannten K-Trasse ist der später geschasste Bahnplaner Ernst Krittian.
1988: Der renommierte Stuttgarter Verkehrswissenschaftler Gerhard Heimerl präsentiert Alternativvorschläge - und erstmals die Idee eines Durchgangsbahnhofes in Stuttgart. Der Schienenfernverkehr soll unter der Stadt hindurch via Tunnel auf die Filderebene geführt werden und auf einer kompletten Neubautrasse entlang der Autobahn via Wendlingen gen Südosten düsen.
April 1994: Bahn, Land, Stadt und Bund präsentieren die Pläne für einen unterirdischen Durchgangsbahnhof: Stuttgart 21. Alle Züge sollen in Stuttgart auf Tauchstation.
Januar 1995: Die Machbarkeitsstudie bescheinigt: Das Vorhaben Stuttgart 21 ist kein Windei. Alle bautechnischen Probleme können bewältigt werden. Umweltschützer und Grüne kritisieren den "teuren Firlefanz".
September 1995: Das Raumordnungsverfahren, die Vorprüfung für die Strecke von Wendlingen nach Ulm, ist abgeschlossen.
November 1995: Bahn, Bund, Land und Stadt unterzeichnen eine Rahmenvereinbarung zur Finanzierung von Stuttgart 21. Es geht um Kosten von fünf Milliarden Mark.
September 1997: Das Raumordnungsverfahren für Stuttgart 21 ist abgeschlossen.
November 1997: Der Architektenwettbewerb für den Hauptbahnhof ist entschieden: Der "Bullaugen-Entwurf'' von Christoph Ingenhoven soll verwirklicht werden.
Juli 1999: Bahnchef Johannes Ludewig wendet sich gegen das Projekt. Gerüchte kursieren, die rot-grüne Bundesregierung wolle Abstand von Stuttgart 21 nehmen.
August 1999: Der Planfeststellungsbeschluss für den Abschnitt Wendlingen-Weilheim-Aichelberg wird erlassen - das vorerst einzige rechtskräftig genehmigte Teilstück.
Oktober 1999: Das Land Baden-Württemberg bietet dem Bund an, die neue ICE-Strecke Stuttgart-Ulm vorzufinanzieren. Stuttgart 21 und die Neubautrasse müssten dann aber gemeinsam verwirklicht werden.
Dezember 1999: Bei einem Spitzentreffen von Ministerpräsident Erwin Teufel, OB Wolfgang Schuster (beide CDU) und dem neuen Bahnchef Hartmut Mehdorn betont die Bahn, an Stuttgart 21 festzuhalten.
Februar 2000: Bahn und Land einigen sich auf eine langfristige Zusammenarbeit im Bereich des Schienenverkehrs. Bedingung: Stuttgart 21 und die Neubaustrecke nach Ulm werden verwirklicht. Im Gegenzug will das Land langfristig bei der DB mehr Regionalverkehre bestellen.
Frühjahr/Sommer 2000: Die Hängepartie um die Milliardenprojekte dauert an. Der Bahnaufsichtsrat vertagt mehrfach Entscheidungen zu Stuttgart 21.
November 2000: Die DB verweist auf die nächste Aufsichtsratssitzung am 6. Dezember: Stuttgart 21 soll wieder einmal auf der Tagesordnung stehen. Unterdessen sickert durch, dass die Bahn kein Geld mehr für die Ausstellung im Turmforum geben will. Ernst Krittian, Chefplaner für die Neubaustrecke, muss gehen.
September 2002: Es wird doch weitergeplant. In einer an alle betroffenen Haushalte verteilten Broschüre wird deutlich, dass in Stuttgart die größte Baustelle in der Geschichte der Stadt entstehen soll. Zahlreiche Gebäude müssen abgerissen, ganze Stadtbahntunnel und Haltestellen verlegt und neu gebaut werden.
Oktober 2002: Gegen den geplanten neuen Tiefbahnhof des Milliardenprojekts sind mehr als 2000 Einwendungen beim Regierungspräsidium eingegangen.
September 2004: Im Streit um Stuttgart 21 hält der amtierende Oberbürgermeister und Wahlsieger Wolfgang Schuster (CDU) auch einen Bürgerentscheid für möglich.
Februar 2004: Das Eisenbahnbundesamt will den Umbau des Bahnhofes genehmigen. Der neue Verkehrsminister Stefan Mappus unterstreicht die zentrale Bedeutung des Bauvorhabens und kündigt den Baubeginn für 2006 an.
März 2004: Der grüne Verkehrspolitiker Boris Palmer hält Stuttgart 21 für ein "Schwarzes Loch" und aus EU-Sicht nicht relevant. DB-Chef Mehdorn stellt sich wieder einmal nachdrücklich hinter Stuttgart 21 und behauptet, mit einem Kopfbahnhof sei die Bahn nicht zukunftsfähig.
Juli 2007: Entscheidung nach 13 Jahren Tauziehen: Die Bundesregierung und das Land Baden-Württemberg haben sich über die Finanzierung des milliardenschweren Stuttgarter Bahnhofumbaus und der neuen ICE-Strecke geeinigt. Die Umsetzung der Projekte soll nun insgesamt rund 4,8 Milliarden Euro kosten: 2,8 Milliarden Euro für "Stuttgart 21", zu dem der Bahnhofsumbau zählt, und zwei Milliarden Euro für die Neubaustrecke. Von den 2,8 Milliarden Euro von "Stuttgart 21" übernimmt die Bahn rund 1,1 Milliarden Euro, Baden-Württemberg knapp 700 Millionen, der Bund 500 Millionen. Der Rest soll unter anderem aus EU-Zuschüssen kommen. Kritiker halten diese Zahlen für unrealistisch und viel zu niedrig.
Oktober 2007: Die Finanzvereinbarungen zwischen dem Land, der Stadt und dem Verband Region Stuttgart werden unterzeichnet. Darin sind die Beiträge der Partner zu dem Milliardenvorhaben festgehalten. Gleichzeitig beginnt die Unterschriftensammlung für einen Bürgerentscheid gegen das Projekt.
Dezember 2007: Der Gemeinderat lehnt mit 45 zu 15 Stimmen den geforderten Bürgerentscheid wegen rechtlicher Bedenken ab.
April 2008: Der Gemeinderat votiert mit einer deutlichen Mehrheit aus CDU, SPD, Freien Wählern und FDP erneut für Stuttgart 21. Der Widerspruch der Gegner gegen die Ablehnung des Bürgerentscheids durch den Rat im Dezember 2007 wurde abgewiesen.
Juni 2008: Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 stellt Visualisierungen eines modernisierten Kopfbahnhofes vor. Eine gläserne, bogenförmige, Dachkonstruktion über den Bahnsteigen soll eine mondäne, lichtdurchflutete Bahnhofshalle schaffen.

Dossier teilweise aus der Stuttgarter Zeitung.



Alle Angaben und Links ohne Gewähr, Stand: Juni 2008



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© SCRITTI.Kommunikation, Autor: Michael Schwager

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